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Katholische
Kirche in Kirgisien

 Neubeginn nach 70 Jahren Kommunismus

Von Damian Wojciechowski SJ, Bischkek, Kirgisien

Hausmesse in einem Dorf: Die wenigen Katholiken in Kirgisien leben verstreut und versam-
meln sich in ihren Wohnungen zum Gottesdienst,wenn einmal ein Priester vorbeikommt. 

Kirgisien, das zentralasiatische Land, das jüngst in die Schlagzeilen kam, ist als Mis- sion den Jesuiten anvertraut. Von der Hauptstadt aus betreuen sie die wenigen katholischen Gemeinden in dem über- wiegend islamischen Land. Der folgende Bericht gibt einen Einblick in ihre schwierige Mission.

Vor drei Jahren rief eine alte Frau aus Janyjer (kirgisisch für: „neues Land“) ihre Freundin in Deutschland an und bat sie, ihr bei der Suche nach einem katholischen Priester oder einer katholischen Kirche zu helfen. Die alte Frau lebte nur 50 Kilometer von Bischkek

entfernt, wo sich schon seit den sechziger Jahren ein Priester und eine Kirche befindet

– nur sie wusste nichts davon. So aber hat ihre Freundin die Telefonnummer der katholischen Gemeinde in Bischkek heraus- gefunden, von Deutschland aus dort an- gerufen – und seither besuchen Priester dieses Dorf. Zu Beginn waren es nur drei alte Frauen. Heute nehmen schon 30 Personen an der heiligen Messe teil.

Wie katholische Gemeinden entstehen


Acht Jahre vorher: Zwei Jesuitenpatres sprechen abends darüber, wie es möglich sei,

Kirgisien zu evangelisieren. In diesem Moment klingelt jemand an der Tür. Es sind zwei kleine kirgisische Mädchen, die sehr ernst und langsam in Deutsch sagen:

„Gelobt sei Jesus Christus.“ Ihre Großmut- ter war deutscher Abstammung und krank. So lehrte sie ihre Enkelinnen, wie sie den Gruß sagen sollten, und schickte sie los, einen katholischen Priester zu suchen.

Heute ist die Großmutter schon gestorben, aber in ihrem Dorf Iwanowka ist die katholische Gemeinde so groß und hat so viele Kinder, dass noch zwei weitere Gemeinden gegründet wurden, weil die Wohnung, in der die heilige Messe gefeiert wird, viel zu wenig Platz hat.

Und so ist es überall in Kirgisien: ein Priester kommt in ein Dorf, findet einige Katholiken und nach ein paar Jahren gibt es dort eine katholische Gemeinde, die von Priestern und Ordensschwestern regelmäßig besucht wird.

Kirgisien – Land in Zentralasien

Kirgisien ist eine der ehemaligen sowjeti- schen Republiken in Zentralasien. Mit seinen 198 000 Quadratkilometern ist das Land etwa halb so groß wie Deutschland. 90% sind Gebirge (bis zu 7 500 Metern). Die 4,5 Millionen Einwohner teilen sich in Kirgisen (62%), Russen (15%), Usbeken (13%) und viele andere Minderheiten wie islamische Uiguren, Dunganen, Tadjiken und auch Deutsche, Ukrainer, Polen, Koreaner, von denen viele ursprünglich katholisch sind. Vorherrschend ist mit 80% der Islam.

Nach dem Ende des Kommunismus begann in Kirgisien eine große ökonomische und soziale Krise. Fast alle Fabriken wurden geschlossen und die Arbeiter verloren ihre Arbeit. Es gibt keine Arbeitslosenunter- stützung. Die Frauen, die im Sommer zehn Stunden bei Temperaturen von 40 Grad auf dem Feld arbeiten, erhalten dafür pro Tag umgerechnet einen Euro – und sie freuen sich, weil sie dafür 10 kleine Brote für ihre Kinder kaufen können. Viele Pensionäre bekommen 150 bis 200 Som (das sind 3 bis 4

Euro – oder 40 Brote) pro Monat. Es gibt fast keine Sozialhilfe und kein funktio- nierendes Gesundheitssystem. Jede medi- zinische Hilfe muss selbst bezahlt werden.

Barmherzige Kirche


In dieser Situation ist Barmherzigkeit die wichtigste Arbeit der katholischen Kirche in Kirgisien. Die Seelsorger besuchen regel- mäßig drei Altenheime, wo Hunderte von alten Menschen verschiedenster Nationali- täten und Religionen oft ganz weltabge- schieden leben. Für diese Menschen ist es ganz wichtig, dass jemand sie besucht und mit ihnen spricht.

Oder wenn die Priester und Ordensleute die zwei Behindertenheime besuchen, bringen sie immer auch Brot und Früchte mit. Für die Behinderten, von denen sich viele nicht selbstständig bewegen und essen können, sind Brot und Äpfel ein großes Festessen. Die Priester erzählen einfache Geschichten aus der Bibel, singen mit den Leuten, zeigen Filme und sprechen mit ihnen über Gottes Liebe.

In den Dörfern gibt es keine staatliche Krankenpflege. Deshalb haben in letzter Zeit

Die Behindertenheime sind Orte extremer Armut und Ausgrenzung. Die Katholiken besuchen sie regelmäßig.

Katholiken im Dorf von Iwanowka: Eine alte Großmutter hatte kurz vor ihrem Tod einen katholischen Priester suchen lassen und ins Dorf gerufen. Heute gibt es eine kleine Gemeinde mit vielen Kindern.

Ordensschwestern begonnen, solche Orte mit einem Ambulanzwagen zu besuchen.

Besuche in den Gefängnissen


Zwei Gefängnisse, eines davon ist ein Frauengefängnis, in dem auch Frauen mit kleinen Kindern untergebracht sind, werden regelmäßig von Katholiken besucht. Neun andere Gefängnisse besuchen die Priester von Zeit zu Zeit. Dort gibt es viele Probleme mit Essen, Medizin und Kleidung. Die Kirche hilft hier speziell mit Kleidung.

Die Häftlinge lesen die Bibel, beten und bereiten sich auf die Sakramente vor – speziell auf Taufe und Beichte. Für alle Häftlinge, auch für diejenigen, die nicht an den katholischen Gebetstreffen teilnehmen, und für Muslime organisiert die Kirche Filmvorführungen (religiöse und Familien- filme), die oft von Hunderten von Häftlin- gen besucht werden.

Hilfe aus dem Ausland


Die katholische Kirche in Kirgisien könnte das alles ohne ausländische Hilfe nicht leis- ten. Das Hilfswerk „Kirche in Not“ unter- stützt z.B. Projekte wie Autos für die Mis- sionsfahrten von Priestern und Schwestern oder den Kauf eines Hauses im Dorf Kamyschanowska, damit dort die heilige Messe gefeiert werden kann.

Aus einer Pfarrei in Deutschland kamen drei

40-Fuß-Container mit Hilfsgütern für die Kirche und insgesamt 30 Tonnen gebrauchte Kleidung, die an Behinderte, Sträflinge und arme Katholiken in den Dörfern verteilt wurde. Große Teile dieser Hilfe wurden auch an evangelische und orthodoxe Pfar- reien weitergegeben.

Schon seit sechs Jahren kommen zweimal im Jahr zwei Frauen aus Bayern nach Kirgisien, die zu Hause bei Privatpersonen Geld sam- meln und es dann in Kirgisien mit Unter- stützung der Kirche an die Ärmsten verteilen. Sie besuchen jedes Mal Hunderte von Wohnungen in ganz Kirgisien.

Christen seit 1500 Jahren


Die ersten Christen in Kirgisien waren Nestorianer, die schon um die Mitte des ersten Jahrtausends hier lebten. Bis zum heutigen Tag kann man ihre Klöster und Friedhöfe sehen. Im Mittelalter versuchten Franziskaner, Missionen zu gründen. Ende des 19. Jahrhunderts ließen sich dann die ersten Katholiken nieder.

In der sowjetischen Zeit wurden auf Befehl Stalins Tausende von Deutschen, Polen, Ukrainern, Litauern und andere nach Kir- gisien deportiert. Schon in den fünfziger Jahren versuchten Katholiken deutscher Abstammung, offiziell eine kirchliche Gemeinde zu gründen. Solche Versuche wurden aber durch den Staat verfolgt. „Ille- gal“ gebaute Gebetshäuser wie im Dorf Luxemburg wurden zerstört. Erst in den

sechziger Jahren wurden einige katholische Gemeinden vom Staat offiziell anerkannt.

Den Jesuiten anvertraut


Das größte Problem für die Katholiken war, dass es keine Priester gab. Nur selten besuch- ten Priester aus Litauen oder aus den Lagern freigelassene Priester die Gläubigen. Die Leute trafen sich zu Hause, um zu beten, und sie tauften ihre Kinder selbst. Ende der sechziger Jahre, kam endlich Pater Michael Köhler nach Kirgisien – der letzte lebende Priester aus der „deutschen Diözese“ von Tyraspol in Russland, die durch die Kommu- nisten völlig vernichtet worden war.

Pater Michael war aus dem Konzentra- tionslager freigelassen worden. Er gründete die Pfarrei in Bischkek und baute eine kleine Kirche. Das war der Beginn eines relativ normalen kirchlichen Lebens.

1997 wurde durch den Papst die Autonome Mission Kirgisien (Missio sui iuris) gegrün- det und den Jesuiten anvertraut. Zur Zeit arbeiten hier fünf Jesuiten, sieben Schwest- ern und ein Weltpriester. Pater Alexander Kahn SJ – er steht der katholischen Kirche Kirgisiens vor – und sein Bruder Pater Johannes Kahn SJ sind Nachkommen von deportierten Deutschen. Ein Jesuit aus Slowenien, der viele Jahre in Japan gearbeitet hat, doziert Japanisch an zwei Universitäten und ein indischer Jesuit arbeitet an der Apostolischen Nuntiatur.

Seelsorge auf Rädern


Insgesamt zählt die katholische Kirche in Kirgisien 1 000-1 500 Katholiken, die in rund 30 kleinen Gemeinden leben. Zwei Gemein- den haben Priester: in der Hauptstadt Bisch- kek und in Talas. Die Priester und Schwest- ern besuchen jede Woche die katholischen Gemeinden in 15 Dörfern rund um Bisch- kek. Sie arbeiten mit Kindern und Jugendlichen, bereiten Erwachsene auf die Taufe und die anderen Sakramente vor, besuchen regelmäßig kranke und alte Katho- liken zu Hause.

Zur heiligen Messe versammeln sich die Gläubigen in Privathäusern. Nur in Kamyschanowka gibt es eine Gemeinde, die ein eigenes kleines Haus besitzt, das als Kapelle benutzt wird. Einmal im Monat besuchen die Patres die Gläubigen in Karakol und in der Umgebung des Issyk- Kul-Sees sowie in Dschalalabad.

Die Brüder Alexander und Johannes Kahn, beide Jesuiten, sind zwei der insgesamt fünf Priester im Land. Sie reisen herum und besuchen die Gläubigen.

Nach 70 Jahren Kommunismus


Nach Dschalalabad muss man mit dem Auto zwölf Stunden über bis zu 4 000 Meter hohe Berge fahren – oder, weil das winters nicht möglich ist, eine Stunde mit dem Flugzeug fliegen! Dieselben Probleme gibt es mit den Straßen nach Talas, wo nun ein Priester und zwei Schwestern leben. Oft muss man, um von Talas nach Bischkek zu gelangen, durch Kasachstan fahren und zweimal die Grenze passieren, was viel Zeit und Mühe kostet.

Nach 70 Jahren Kommunismus ergeben sich auch noch andere Probleme, denn die Men- schen haben fast keine spirituelle und morali- sche Erziehung erhalten. Sehr viele Frauen sind mit ihren Kindern ganz allein und hatten nie einen echten Ehemann. Viele Männer sind Alkoholiker. Viele alte Menschen sind von ihren Kindern verlassen worden. Deshalb muss spirituelle und materielle Hilfe Hand in Hand gehen. Trotz aller Strapazen arbeiten die Seelsorger und Schwestern mit Freude im Herzen. Die Liebe und Dankbarkeit der Gläubigen ist ihr größter Lohn.