Die Memoiren von Prälat Michael Köhler

Kurz vor seinem Diamantenen Priesterjubiläum (1981) diktierte Prälat Michael Köhler folgende Erinnerungen:

»Aus Vergangenheit und Gegenwart. Ein leidensvolles und doch glückliches Leben von 84 Lebensjahren.« Wir drucken sie erstmals in vollem Wortlaut, wobei das archaische Deutsch gewahrt bleibt.

Franzfeld, ein kleines Dorf in der Ukraine, in Südrußland, angesiedelt laut Manifest der Kaiserin von Rußland, Katharina der Großen, in den Einwanderer-jahren aus Deutschland nach Rußland 1804 bis 1808 liegt am Dnjesterliman unweit von Odessa. Es zählt ungefähr zweitausend Seelen rein katholischer Konfession. Die Beschäftigung der Einwohner dieser deutschen Kolonie ist hauptsächlich Acker- und Weinbau.

Die schlichten und einfachen Bauersleute wurden schon von Anfang ihrer Ansiedlung wegen ihres tiefen Glaubens immer betreut mit Geistlichen. Sie wurden anfänglich von Polen-Geistlichen und bis zuletzt von einheimischen Priestern geistig versorgt. Unter den vielen deutschen Kolonien im Wolgagebiet, Kaukasus, Krim und der Ukraina, was zur Saratover Diözese gehört, hat sich Franzfeld ausgezeichnet dadurch, daß aus Franzfeld 18 Priester und unter ihnen ein Bischof — Zerr, aber auch aus Landau, der Kolonie von Beresan einer größeren katholischen Gemeinde 22 Priester, auch ein Bischof Glaser, hervorgegangen sind, alle aus dem Seminar zu Saratow. Auch der jetzige Prälat Michael Köhler als achtzehnter Priester aus Franzfeld lebt heute noch mit 84 Lebensjahren und wirkt in der Stadt

Frunse in Kirgisien als einziggebliebener deutscher Priester unserer Diözese. Von ihm wird weiter die Rede sein.

Die Familie Köhler gehörte zum Grundstamm bei der Ansiedlung des Dorfes Franzfeld. Der vorletzte Stamm zählte neun Kinder — sechs Söhne und drei Töchter — alle wanderten aus in verschiedene Neuansiedlungen, Chutoren und Städte, nur Joseph Köhler, verheiratet mit Agata Kaiser, bleiben im Heimatdorf und das sind die Großeltern zu Prälat M. Köhler. Die glückliche Ehe war gesegnet mit drei Söhnen und zwei Töchtern. Der älteste Sohn Jakob, geboren 1872, verheiratete sich mit Franziska Kraft aus Johannestal, geboren 1873 – das sind die Eltern zu Pralat Köhler. Es war damals Gebrauch, daß die verheirateten Söhne bei den Eltern wohnen können bei fünf Jahren. So blieb auch Jakob mit seiner Familie fünf Jahre im Elternhause, obwohl sie abgeteilt wurden, und trieben Ihre Wirtschaft alleine, so nahmen sie des Vaters Wirtschaft auch mit. Als Tochter eines bemittelten Bauers bekam Franziska von ihrem Vater Josef Kraft zwei Pferde, vier Kühe und drei Rinder, schönes Möbel und anderen reichen Aussteuer, so das die junge Familie Jakob und Franziska bald zum Wohl-Mittelstand kommen konnten. Das erste Kind Baltasar starb bald nach der Geburt, bald kam eine Tochter Maria, und ein Jahr anderhalb ein Sohn Joseph zur Welt.

Es war schon nahe daran das fünfte Jahr und Jakob mit seiner Frau Franziska und zwei Kinder wanderten aus Franzfeld aus. Es zog sie der Großvater Josef Kraft zu sich nach Johannestal-Mannheimer Pfarrei. Es war das Jahr l897, am 30. Oktober, wo ein Kind aus dieser Familie als drittlebendes zur Welt kam, man gab ihm den Namen bei der hl. Taufe Michael in der Pfarrkirche zu Mannheim, wo P. Jakob Dobrowosly Pfarrer gewesen ist. Und das ist der kleine Michael, der heute schon 84 Jahre alt ist. Noch bedenkt ihm manches vom dreijährigen Alter. Der – ein Schrecken für uns Kinder, weil er einen Bart getragen hat; wer nicht brav war, sollte dem verkauft werden, auch hat das kleine Michele einige Entchen totgedrückt und die ältere Schwester Maria mußte Schläge bekommen dafür; der Hund hat den Bruder Joseph gebissen und des Großvaters Pferd wurde toll und mußte erschossen werden, alles das gedenkt ihm heute noch. Als der kleine Michael vier Jahre alt war, so zogen seine Eltern, wiederum auf Geheiß des Großvaters Kraft, nach Kaschara, Pfarrei Ponjatowka. Dort angekommen 1903, kam das vierte Kind Veronika zur Welt. Auch von jener Zeit läßt das Gedächtnis von sich was reden; Eines Tages hat das Michele ein Hämmerchen gefunden im Aschhaufen, mit dem man den Zuckerhut abgeschlagen hat.

Dieses Hämmerchen wanderte mit den Eltern in der Kriegszeit 1942 durch Europa und liegt heute nach 80 Jahren noch auf dem Tisch des Herrn Prälat als Reliquie von der Jugendzeit und Erinnerung an seine lieben Eltern. Nicht lange sollten die Eltern in Kaschara bleiben; nachdem ihnen wiederum ein Kind, das

vierte lebende geschenkt worden war mit den Namen Veronika. So folgten sie wiederum dem Ruf des Großvaters Kraft und übersiedelten aufs Chutor Mala-schewitsch, wo 50 Desjatinen Land neben Großvaters Landgut verkauft wurden. Das war um das Jahr 1904, wo der japanische Krieg Rußland beunruhigt hatte. Gottlob, der Vater wurde verschont und nicht zugenommen. Ankam 1905 kam nun die jüngste Schwester Lydia zur Welt. Es kam nun für die altern Kinder, Maria, Joseph und Michael die Schulzeit. Unterdessen kam Großvater Joseph Köhler auf Gast zu seinen Kindern aufs Chutor Malasche-witsch. Beim Abendbrot erblickte er die Familie und sagte: Maria könnte eine gute Wirtin werden, sie kann schon drei Kühe melken, auch das Kochen steht ihr an. Joseph hat Freude an den Pferden, das gibt ein Landwirt, aber dieser da, auf Michael deutend, drückt scheints ein Auge zu, wenn er in die Sonne schaut, das gibt kein Schaffer.

Die Mutter nahm das Wort und sagte darauf Ja, er möchte lernen und es gibt sich ihm, wir wollen ihn lernen lassen. Und somit suchte man Wege und die Möglichkeit, den kleinen Michael lernen zu lassen. Lassen wir uns selbst von sich den zukünftigen Studiosus reden. Ich kam nach Georgiental zur Sekretarka der Mannheimer Pfarrerei zur Mutters Schwester Tante Margarita (Bas Gretel genannt). Sie war verheiratet an Joseph Bartie aus Selz, der hier in Georgiental Lehrer, Dorfschreiber und Kirchendiener gewesen; sie hatten zwei Söhne. Johannes lernte die Landwirtschaft bei Onkel Karl Kraft und Andreas studierte in Odessa im Gymnasium; die einzige und älteste Tochter Katharina (Katja) versorgte die Wirtschaft mit Mutter und dabei heizte sie mit Stroh die Schule, das Quartier und die Kanzelei. Das viele Stroh mußte gerupft werden mit dem Heuzöpfer und auf dem Rücken hineingetragen werden. Gewiß half ich der armen und dabei kränklichen Schwester Katja diese Last zu teilen. Das schwerste aber war für sie das Früh- und Abend-Angelusläuten in der neben stehenden Kirche — ein schönes gotisches Gotteshaus. Einmal im Monat besuchte es der Pfarrer — Dekan von Mannheim. Die Katja, erst 16 Jahre alt, hatte Angst alleine im Dunkel im Glok-kenhaus die Stricke an der Glocke zu ziehen; ich mußte sie begleiten. Ich hatte gute Fortschritte in der Schule, aber zwei Jahre dauerte das Glück, dann ist die liebe Tante Margarita gestorben. Das Haus ist nun leer geworden. Onkel Joseph Bartie, mein Firmpate, heiratete aus Kandel eine Witwe mit drei Töchtern. Sie war eine liebe Frau und hieß Franziska Black. Am meisten hatte die nun verwaiste Halbschwester Katja zu leiden, sie hatte keine Mutter mehr. Unterdessen gründete ein deutscher Lehrer mit Hochschulbildung Georg Pe-trowitsch Schmidt in Selz ein Progymnasium und weil ich dort auch eine Tante Marianna hatte, an Wendelin Bartie verheiratet, so überführten mich meine Eltern nach Selz, das mir von nun an zur zweiten Heimat geworden ist. Zwei Jahre studierte ich dort, wobei ich bei dem guten Onkel Wendelin und seiner herzguten Frau Marianna im Quartier gewesen bin. Schon mußten meine

Eltern anfangen zu zahlen — zehn Rubel für Kost und Quartier und 60 Rubel Schulgeld aufs Jahr. Die Umständen diktierten, daß meine Eltern mich nach Karlsruhe im Beresan in Pater Scherrs Gymnasium überführten. Neue Umstände, ein neues Leben von anfang 1911 an.

Karlsruhe

Unter den vielen deutschen Kolonien — Ansiedlungen von den Auswanderern aus Deutschland in den Jahren 1805—1812 finden wir den Namen der Kolonie Karlsruhe in Beresan genant. In den ersten Jahren des zwanziger Jahrhunder-tes wurde dorthin ein junger und sehr eifriger Priester Jakob Scherr herkommend aus Straßburg im Kutschurgan im Odesser Kreis vom Bischof in Sara-tow bestimmt. Außer der Seelsorge in seiner Pfarrei fühlte sich P. Jakob Scherr berufen, in sozialer Form für unser deutsches Volk zu wirken. Er gründete ein Waisenhaus und sammelte in der Umgegend elterlose Kinder. Sie wurden von opferwilligen vorzüglich ledigen und frommen Frauenspersonen – Terziariern wie eine Art Klosterfrauen erzogen, die ihnen einen Beruf zu erkennen gaben. Unter ihnen war vorzüglich Gertruda Keller, Franziska Schmidt, Helene Scherer, Magdalene Seigfried und andere zeigten sich jahrelang tüchtig in der Erziehung der Kinder und in der Führung der Wirtschaft. In den Jahren 1910-12 zählte das Waisenhaus schon mehr als 120 Personen. Auch dies war für den eifrigen — den zweiten Don Bosco P. Scherr zu wenig; das Waisenhaus mußte auch noch für jemand nützlich sein. Er gründet zuerst ein Progymnasium, was nachträglich zu einem vollen Gymnasium auswuchs. Der gute aber doch strenge P. Scherr wollte den Kolonisten-Söhnen nützlich sein und aus ihnen tüchtige Gelehrten für unser Deutschtum in Rußland bilden. Von dieser Pflanzstätte gingen zwei Priester (B. Syska und meine Wenig; keit), Ärzte, Organisten, Lehrer, Ofizieren, Agronomen und andere Berufe hervor.

Das Leben und die Erziehung in dieser Anstalt war, wenn auch weit, doch dem gastlichen Seminar ähnlich. Es war anfänglich eine geschlossene Anstalt — Pensionat und Lehramt unter einem Dach, strenge Tagesordnung, Disziplin. Die gute Verköstigung, Bedienungen, Wäsche, stellte das Waisenhaus, auch jedem Tag hl. Messe und Herz Jesu Andacht. Dafür sorgte der fromme Pater Scherr, der immerhin die Oberverwaltung in seinen Händen hatte. Die Lehrerschaft war zumeist mit Hochschulbildung. Und in diese schöne Anstalt schickten mich meine fromme und aufmerksame Eltern, da sollte ich Erziehung und Bildung bekommen, aber auch meinen werten Beruf fürs Leben studieren und auswählen. Wohl war es im Plan Gottes, daß in der Zeit 1911, wo ich in Karlsruhe eingetreten bin, ein junger Priester als Erzieher angestellt worden ist, Pater Franz Rauh war es.

Meine ganze Haltung als fleißiger und korrekter Schüler hat dem jungen Pater scheints gefallen, er zog mich vor und bestimmte mich als Zensor und Sekretär. Ohne besondere Anregung von Seiten des Pater Rauh fing eine innere Stimme mir zu sagen, das ich eintreten soll ins Seminar nach Saratov. Nach einem strengen und gründlichen Deputatsexamen absolvierte ich das Progymnasium und am Spätjahr 1913 trat ich ins Seminar zu Saratov ein. Die Seminardisziplin zu gewöhnen war für mich schon nicht zu schwer, weil ja Karlsruhe, wie gesagt, ein Vorbild war. Es ist schwer zu verstehen und zu beschreiben, wie sich der junge Mensch wohl fühlte in einer Anstalt, wo die Verwaltung, Erzieher und Lehrer die zweiten Eltern ersetzen; unbeschreiblich Wärme und Aufmerksamkeit zeigten uns Pater Rektor P. Frison, P. Inspektor Glaser, beide später unsere Bischöfe, Prälat Joseph Krusehinski, P. Augustin Baumtrog, P. Michael Wolf, Prälat A. Fleck, P. Andreas Zimmermann, P. Leo Weimayer, die Präpositen Bader Wallieser, Weigel, Wolf; Kopp, Fröhlich – die späteren Priester. Später wurde P. Neugum Joseph Rektor und dazu die Kriegsjahre, da war das Leben schon einigermaßen defektiver, das kleine Seminar löste sich auf am 1918, das große Klerikalseminar wurde nach Odessa überführt. Dort endigte ich mit drei Confratres den vollen Kurs der Philosophie und Theologie und erhielt die Diakonatsweihe; zum Priester konnte ich noch nicht geweiht werden, da ich noch keine 24 Jahre alt war. Nicht ganz drei Jahre war ich Religionslehrer in der Kolonie Selz, aber schon nicht mehr in der Schule, sondern im Pfarrhaus mit Pater Thauberger Johannes, der Pfarrer war in Selz, zusammen. Bischof Kessler emigrierte nach dem Ausland, Bischof Fri-son, Pfarrer in Symphoropol, durfte nicht administrieren, die Diözese verwaltete Prälat Joseph Kruschinsky. Derselbe verordnete, das der resignierte Bischof Zerr, der in Selz wohnte, mich zum Priester weihen krame. Am 20. Mai 1922 wurde ich nun in Selz zum Priester geweiht und am 21. Mai 1922 hielt ich daselbst meine Primitz. Bischof Zerr wollte Pfarrer sein in Selz und ich sollte sein Vicar sein und so betreute ich Selz in den schweren Hungersjahren acht Monaten tag täglich und den ganzen Tag auf Krankenbesuch, der Hunger brachte dem Tod viel Opfer.

Acht Monate lang versorgte ich die große Gemeinde in Selz. Unermeßlich schwere Zeiten, die Folgen der Hungersnot verwandelte die Gemeinde zu einem Hospital. Ich wollte selbst in Selz nicht bleiben für die Zukunft, da ich „hier aufgewachsen bin und auch viele Verwandten hier hatte: auf meinen Wunsch hin bestimmte mich der Hochwürdigste Herr Prälat Kruschinski als Apostolischer Administrator nach Speier, eine der größten Kolonie unserer Ansiedlungen mit 4600 Einwohner. Der Ortsgeistliche Pater Michael Rauch — lungenkrank — resignierte anfangs Februar und somit sollte meine Bestimmung dorthin den notwendigen Ersatz leisten. Man schickte nach mir ein Fuhr-Schlitten mit zwei Pferden und am 23. Februar 1923 kam ich in Speier an.

Obzwar auch hier die Not groß war in aller Hinsicht, so haben die Gläubigen mitsamt dem Vorstand des Dorfrates Johann Wirz mir einen feierlichen Einzug, wie er es früher üblich war, bereitet. Pater Michael Rauh, obwohl krank, empfing mich in der Kirche, er wohnte noch im Pfarrhaus, das miserabel mit allen Hofgebäuden ausgesehen hat: die Rohrdächer wurden abgedeckt und als Brand verbraucht. Vorläufig konnte ich mit meinem jungen Schwesterchen Lidia, die ich als Wirtin mitgenommen hatte (ja im Elternhaus war auch schon nichts mehr zu essen) nur ein kleines Zimmer im kalten Pfarrhaus einnehmen. Mein Vorgänger P. Rauh versprach mir absolut keine Erfolge in der Pfarrei Speier, er stammte ab vom Wolgagebiet. Seine Sprache, sein Verhalten den Pfarrkindern gegenüber wies auf ein schwaches Verhältnis hin zwischen Pfarrer und Untergebenen; es fehlte die gegenseitige Liebe, es verschwand der Opfersinn, so das der kranke Pater so zu sagen hungerte. Man dürfte meinen, daß ein derartiges Bild mir hätte den Mut nehmen sollen?!

Keineswegs, bin immer in meinem Leben glücklich gewesen, auch in den schwierigsten Verhältnissen, den Mut nicht sinken lassen. Es waren davon früher große Bücher mit harten und guten Deckeln noch sauber von jeglichem Einschreiben, ich nahm eines von diesen Bücher unter den Ann und fing an, von Haus zu Haus alle Mitglieder bis aufs kleinste Kind aufzuschreiben; dabei machte ich mich bekannt mit den Menschen, hörte ihre Nöten und Klagen an, wie wohl auch gewann ich sie für mich als ihren zukünftigen Seelsorger. So ging es Tag für Tag drei Monate lang. Am Nachmittag um 4 Uhr hörte ich die Beichte derer, die schon gewonnen waren. Am Sonntag ging es auf die Kanzel und stellen Sie sich vor, gegen Ostern war die sonst leere Kirche schon gut angefüllt. Inzwischen möchte ich zwei wichtige Begegnungen hier den Lesern bekannt machen: Es begegnete mir auf diesen sogenannten Rundreisen ein bejahrter Mann mit Namen Kuhn Ignaz, er war im Dorf von anfang 1917 auch in der Kanzlei ein Vorgänger und kämpfte für das Wohl des Volkes.

Lieber Pater, sprach er mich auf der Straße an, Sie sind hierher in unsere Pfarrei geschickt worden, wir sind froh damit, aber horchen Sie mich an, machen Sie es nicht so, wie Euer Vorgänger Pater Rauh; es war das in Jahr 1918, wo die Deutschen die Ukraina okkupieren wollten, sie waren auch hier bei uns in Speier und haben ohne Grund acht Mann von uns, auch ich dabei, in den Keller unter der Schule geworfen, wir sollten ohne Gericht erschossen werden. Unsere Frauen baten zuerst Pater Rauh, er möge sich um uns kümmern, aber Pater Rauh hat sich abgesagt. Sie sind zu fuß in der Eile gelaufen nach Karlsruhe zu Pater Scherer Jakob. Dieser, ein wahrer Volksmann und Freund der Armen und Bedrängten, schenkte unseren Frauen Gehör, befahl sofort seine alten Füchse einzuspannen und in Galopp ging es Speier zu.

Er ging ohne Furcht in die Kanzlei, wo die Deutsche Offizieren saßen. Was ist da los, warum habt Ihr diese Männer eingesetzt? Ich gehe nicht fort, bevor sie nicht alle befreit sein werden. Es ist geschehen, wir wurden freigelassen und lebe heute noch. Machen Sie, Herr Pater, nicht so wie Pater Rauh und das Volk wird Sie lieben. Dieser Ignaz Kuhn ist ein Kirchgänger geworden und ging von da an zu den hl. Sakra-menten. Eine andere für mich lehrreiche Geschichte: Als ich nach Speier gekommen bin, arbeitete in der Volksschule eine gebildete Frau als Lehrerin. Sie war eine Verlassene von Ihrem Mann Kurt Engel und hatte zwei Jungchen von zirca 10-12 Jahren bei sich. Sie besuchte öfters das Pfarrhaus und zeigte Interesse für den Katholischen Glauben, auch hatte diese Konkordia Iwanowna Engel etwas später den katholischen Glauben angenommen. In der Pfarrei wie auch in der Kirche beobachtete diese gut entwickelte Konkordia Iwanowna meinen Eifer und sagte eines Tages zu mir: Herr Paler, ich sehe, Sie wollen alle Leute bekehren nach Ihrer Art, dies wird Ihnen nicht gelingen, denn die Menschen sind vielerart erzogen, ich rate Ihnen: Nehmen Sie den Menschen, so wie er ist, aber nicht so wie Sie ihn haben wollen, sehen Sie in ihm nur das Gute, das böse jedoch nicht. Decken Sie mit dem Guten das Böse zu und Sie werden Erfolg haben.

Mit Gewalt bricht man zuweilen Eisen, aber selten den Charakter und die Überzeugung des Menschen. Schon sind 58 Jahren vergangen und ich habe den Rat dieser erfahrenen Frau nicht vergessen, ja umgekehrt immer im Leben angewendet und mit Erfolg. Die große Kirche wurde bald zu Wein. Der Kirchenbesuch wuchs immer mehr, unter dem NEP-System ging es den Leuten schon besser, es reifte der Gedanke, die Kirche zu vergrößern, es geschah ann. i926. So ging es ganz schön bis 1928-29. Der Schatten der Trauer und Heimsuchung zog in vielen Familien ein, mit Tränen zogen sie aus unserer Mitte in die weite unbekannte Welt hinaus. In Erwartung schlimmer Zukunft fing das geistliche und materielle Leben an zu zerfallen. Auch meine Wenigkeit mußte Abschied nehmen auf ewige Zeiten von meiner Pfarrei, das war da Datum 23. Juni 1934 und um dieselbe Zeit 1935 trafen wir uns zwölf an der Zahl mit unserem Oberhaupte dem Apostolischen vicare Joseph Kruschinski in der Kamera N 1 im Odessa-Gefängnis. Nun davon: Mrt njir bauten sie die Eisenbahnlinie von Temirtau bis zu den Taschtagol-Berge, abgraben mit dem Spaten und der Schaufel und Täler ausfüllen. Nach einem Jahre ging es nach dem fernen Osten in das schöne Jedenland Birobidschan, aber alle zersplittert, ein jeder in eine andere Gegend, so daß ich in dreizehn Jahren keinen katholischen Priester mehr getroffen habe.

Keine Feder ist imstande zu beschreiben, wie viel Elend, Krankheiten, Hunger und Durst, Kälte und Hitze ein Mensch durchmachen imstande ist, und dennoch am Leben bleiben kann! Wohl möchte es dennoch in den Annalen des Himmels aufnotiert sein, die Wege Gottes sind wunderbar und weise, wer kann sie erkennen?! Im Exyl von 1947 bis 1957 ist ja der Mensch teilweise freier, konnte ich schon wichtige Stellen einnehmen, bin unterdessen Bautechniker geworden im

Rayonsdorf Bogoljubowo im Norden von Kasachstan. Ich konnte mein altes halbverhungertes Mütterchen zu mir nehmen, auch nachher meine Schwester vom Exyl Krasnojarsk, Veronika. Als Direktorgehilfe ist es mir gelungen, ein am letzten Platze stehendes Kombinat zum ersten zu heben. Gewiß konnte ich kerne geistliche Funktionen ausüben, erst als ich anno 1957 auf Pension übergegangen bin und mich abgerechnet habe vom Kombinat, auch sofort weggefahren bin nach Jurga, so fing ich an, meine geistliche Pflichten nachzukommen. Obwohl noch illegal, so besuchte ich viele hunderte Gemeinden in allen Ecken, wo nur unsere Katholischen wohnten. Vier Jahre mit wenig Störungen brachte ich in Jurga zu, aber die Zeit kam, wo man mich bedrängte und fortschub. Ich mußte fort und siedelte mich an mit zwei Schwestern Maria und Veronika samt der alten Mutter in Merke – einem Rayon in Kasachstan zwischen Dschambul und Frunze.

Das Leben im Rayonszentrum Merke von 1961 bis 1969

Von Jurga aus nach Merke kamen wir an mit unserer alten Mutter und zwei Schwestern Maria und Veronika am 27. März 1961. Merke ist ein großes Rayonzentrum im Südkasachstan zwischen Dschambul und Frunze. Wir kauften mit den Schwestern ein geräumiges Haus mit Hofküche. Aber schon acht Tage am 6. April starb unser liebes Mütterlein an Altersschwäche mit 88 Jahren. Sie machte den Anfang der Begrabung auf dem Friedhof von Merke aller Toten aus unserer Familie, derer heute schon fünf an der Zahl beerdigt sind. Es stellt sich nachträglich heraus, daß nebst meiner Verwandten in Merke viele Katholiken wohnhaft sind aus verschiedenen früheren Wohnorten. Alltäglich hielt ich in unserem Hause hl. Messe, auch an Sonnabenden und Sonntagen zelebrierte in den Privathäusern der Gläubigen. Bemerkenswert ist es, daß ich in den neun Jahren, die ich in Merke zugebracht hatte, niemals von der Behörde gestört worden bin, obwohl ich alle Functionen wie Taufen, Trauungen, Beerdigungen offen durchgeführt habe. Mann hat mir nicht verboten, weil ich als Pensionär auch tätig war in bürgerlicher Hinsicht. Habe aktiv teilgenommen am Straßenbau. Im Poselkowsowjet hat man mich immer zu Rat gezogen. Auch traf es sich öfters, daß man mich zu Kranken holte von Dschambul aus bis nach Frunze, besonders nach dem in Kant das zeitweilig functionierte Kirchlein geschlossen und Pater Antonius Scheschkewitschus ins Exil gegangen ist. Es kam die Zeit daß Moskau die Anweisung gegeben hat, den Katholiken im asiatischen Rußland die religiösen Gemeinden zu registrieren und frei das Glaubensbekenntnis zu pflegen. Die erste Gemeinde wurde registriert in der Stadt Frunze — Kirgisien. Man bildete einen Vorstand mit zwanzig Mitgliedern, denen Mumber Andreas und Rojek Franz vorstanden. Man kaufte ein Privates Wohnhaus und umgestaltete es zum Bethaus – acht

Meter breit und neuneinhalb lang, aber nur drei Meter hoch, es fehlte immer an der notwendigen Kubatur beim Kirchenbesuch der Gläubigen, wo sich bei dreihundert Menschen ins Gebäude eindrängten. Es fehlte an der geistlichen Verwaltung,es fehlte der Pfarrer. In erster Reihe trug man mir dieses Amt an, ich lehnte ab des alters wegen — 72 Jahre war ich alt, andere Kandidaten schienen nicht annehmbar zu sein. Man wieß nochmals beim Ministerium auf meine Person hin. Schakolotow und sein Gehilfe Wjgchnjalfqw, die Bevollmächtigten über die religiöse Frage beim Ministerrai Kirgisiens schickte eigens nach mir, da ich in Merke wohnte, und machten mir den eindringlichen Antrag, die Pfarrstelle anzunehmen, da ich ein einheimischer Priester aus diesem deutschen Volke bin auch aus der Saratover Diözese mich viele Menschen kennen. Sie betonten, das mein dreiundzwanzigstes Trennen vom Altare — Gefängnis und Exil keine Bedeutung mehr hätte, zu Zeit waren die Verhältnisse derart. Ich sagte zu und sofort reichte man mir ein Zeugnis in die Hand, daß ich als Pfarrer von Frunze frei pastorieren darf, und so nahm ich die Pfarrei an am 14 Juli 1969. Meine Schwestern wohnten ein halbes Jahr in Merke, da wir unser Haus dort erst zu verkaufen hatten, um in Frunze ein eigenes Haus kaufen zu können.

In diesem halben Jahre bin ich jede Woche von Merke auf den Sonntag nach Frunse auf dem Autobus gefahren bis wir Januar 1970 unser eigenes Haus in Frunze hatten. Nicht wenig Schwierigkeiten von innen und außen hat mann durchzumachen gehabt, die die sonst untergrabene Gesundheit verschlimmerten; schon 1971 erkrankte ich an Bluturnlauf im Gehirn und 1973 an einem tiefen und schweren Infarkt-Miacard, drei Monate mußte ich das Bett hüten und nur das Gebet der Gläubigen und die außerordentliche Sorgen und Kenntnisse meines Hausarztes Silbermann Faina Jak. retteten mir das Leben. Mit dieser schwachen Gesundheit konnte ich die Pfarrerei nicht mehr allein versorgen und ich war gezwungen, mir einen Vikar — Hilfspriester zu suchen, was mann mir auch versprochen hatte, bei der Annahme. Ich erforderte mir aus Makinsk Pater Gottlieb-Georg Todatschitsch, der dort an der Sägmaschine im Kombinat arbeitete. Seine Registration hier war schwierig zu erhalten, da er zu den unierten Ukrainern Priestern gehörte, die man zu jener Zeit noch nicht bei uns anerkannte. Auf meine Garantie hin registrierte man ihn dennoch. Schon acht Jahre arbeiten wir zusammen.

Einen Überblick von der Arbeit in der Pastoration unter unseren deutschen Katholiken aus der Saratover-Tyraspoler Diözese, die von anno 1971 im asiatischen Rußland zerstreut vom Ural bis Sachalin, vom hohen Norden bis Aschchabad unter vielen verschiedenen Nationen angesiedelt worden sind und leider größtenteils ihre deutsche nationale Eigenschaften verloren haben: Wir arbeiten hier 15 Priester, von denen ich Prälat Michael Kahler der einzige und letzte einheimischer Priester aus der Saratover Diözese geblieben bin im

Alter von 84 Jahren und 59 Priesterjahren: am 20. Mai 1982 hoffe ich mein 60jähriges Priesterjubiläum feiern zu können, wenn es der Wille Gottes sein wird. Außer mir sind Ukrainer, Tschechen, Litauer, Letten, Polen und ein Österreicher deutscher Priester. Mann dürfte denken, das die Zahl 15 nicht klein wäre als Arbeiter im Weinberge des Herrn — das Quantum und die Qualität? Unter uns sind vier Achziger und höher, vier Siebziger und die übrigen etwas jünger. Zu dieser physisch mangelnden Seite gesellt sich die verschiedene Erziehung, die Unkenntnis der Sprache, die Neigung zur Einführung der russischen Sprache im Umgang, im Beichtstuhl, in der Predigt und sogar am Altare, was vielfach die Muttersprache verdrängt. Den größten Schaden fügen viele diese Art Geistlichen unserem Volke zu, daß sie das Moderne, die Neuerungen gegen den Willen des Volkes nicht nur einführen, sondern mit Gewalt und Drohungen aufdrängen und das Heilige — die Tradition des Volkes herkommend von unseren Bischöfen und Priestern auszurotten suchen, ja geradezu, muß man sagen, unser gläubiges Volk entrechten. Auch sucht mann vielfach Gebräuche aus anderen Nationen unter unserem Volke mit Gewalt zu verbreiten. Das arme Volk duldet vieles, weil eben keine anderen Priester zu hoffen sind und es den Wert des heiligen Meßopfers zu hoch schätzt. Mir gegenüber sind meine Priesterkollegen nicht besonders gut gestimmt, weil ich ein starker Gegner dem Modernen bin und den Abbau des Christentums durch manche schädliche Neuerungen nicht pflege und nicht zulasse. Auch zelebriere ich die hl. Messe nach dem Missale korregiert nach dem Zweiten Vaticanum von anno 1966 von Gardinal Cicogniani vorgelegt und Papst Paul wie bestätigt, was nur unser gläubiges Volk wünscht. Ehre und achte den Ausdruck — Vox populi — vox Dei, die Stimme des Volkes ist die Stimme Gottes. Schon mehr als fünzig Jahren ist an der Glaubensfrage unseres Volkes gerüttelt worden und manchmal derart, daß mann glaubt keine Spuren mehr zu finden und doch was sehen wir? Nach der Erlaubnis, die Gemeinde registrieren zu dürfen: Welche Opfer bringen unsere Leute — kaufen Häußer, bauen Kirchen, sie zeigen einen lebendigen, ja heroischen Glauben, den sie von unseren Bischöfen und Priestern als festes Fundament gleichsam als Testament erhalten haben, von denen, die mutig dem Martyrium entgegengegangen sind und im Himmel für ihre Pfarrkinder beten, damit sie stark bleiben in ihrem Glauben und fest halten an ihren heiligen Gebräuchen. Und diese Heiligtümer will man dem gläubigen Volke nehmen und mit unchristlichen Neurungen vertauschen, Un-christen machen, zu Sektanten?!

Nein, das gibts nicht, so lange ich noch leben werde, bin ich bereit, meine letzten Kräfte daran zu setzen und unser Volk, aus dessen Mitte ich hervorgegangen bin, zu schützen und zu verteidigen. Man wirft mir vor, ich würde nicht recht handeln im Sinne des Zweiten Vaticanum und des Papstes. Ich antworte darauf: Ich bin ein Zögling der Bischöfe und Professoren, die von den Päpsten

Leo XIII und Pius X unsere Saratover Diözese patroniert und geordnet haben; Pius X ist schon heilig gesprochen. Also wollte Gott seine Lehre und Methode gut heißen?! Ernste und rechtdenkende höhere Geistlichen behaupten nur: Sollten Sie, Herr Prälat, Eurem Volke das beibringen wie der Westen, so würden von Euren Leuten die meisten vom Glauben abfallen. Und in der Tat, wo die schädliche Neuerungen eingeführt worden sind, haben sich viele von der Kirche abgesagt. In diesem Sinn und mit dieser Methode arbeitete ich in der Pfarrei bis zur Trennung von derselben und jetzt schon im dreizehnten Jahre hier in Frunse, obwohl ich mich verbundlich fühle mit allerorts wohnenden Katholiken. An und für sich wäre ja die Pfarrei auch mit den noch mehr als zwanzig umliegenden Gemeinden — klein und groß, aber die Not ist groß, der Weinberg umfangreich, der Arbeiter wenig, von überall ruft und bittet man um Hilfe. Gar manchmal muß ich allein bleiben und den Pater Vicar zur Aushilfe den Notleidenden schicken. Gottesdienst haben wir jeden Tag und auch zumeist am Nachmittag, da öfters von der Feme und aus der Peripherie Gläubige kommen zur Beichte, Taufe, Trauung usw.

An Sonn- und Feiertagen haben wir Frühmesse, Rosenkranz oder zeitgemäße Andachten, Predigt und Hochamt abwechselnd mit dem Pater Vicar. Wenn es gelegen ist, so hält man auch eine kurze belehrende Ansprache in der Frühmesse. Beichtgelegenheit ist jeden Tag und zu jeder Zeit. Die Peripherie wird nach bestimmtem Grafik drei vier Mal des Jahres besucht, wo gewiß alle Nöten gestillt werden. In den Gemeinden dort gehen die Gläubigen zusammen, halten Andachten, Rosenkranz, Maiandacht und andere, singen dabei fromme Kirchenlieder meistens aus dem Diözesanbuch »Alleluja«. Diese Andachten berücksichtigen mehr jene Menschen, die schwerlich zur Pfarrkirche kommen können, da jedoch manche über hundert Kilometer zu fahren haben. Zu allem guten Vorhaben ist dieser Art Pastoration doch ein Stückwerk dem gegenüber, was wir in den geordneten und geschlossenen Pfarreien gehabt haben. Ihr sehet, oben fehlt ein wichtiges Wort – Christenlehre. In den Pfarreien hatten wir die Kinder in der Schule und die Erwachsenen in der Kirche zur Christenlehre. Wir hatten das Familienbuch, worin alle Karrkinder bis zum kleinsten Kinde aufgeschrieben waren, zu jener Zeit konnten wir nachsehen und den Zustand der Familie und zugleich der Pfarrei feststellen — Oster-beicht, Trauung, Zeugen, erste Communion, Auswanderung und dergleichen. Dieses fehlt uns jetzt gänzlich, die Menschen sind uns aus der Hand gewachsen, wir können Sie nicht erreichen und wenn sie selbst nicht kommen, so sind sie für den Glauben verloren. Der Schluß davon ist daß wir keine Jugend haben, auch wenig Kinder.

Haben wir keine Nachkömmlinge, so ist das Absterben zu erwarten. Man kämpft, man redet sich die Lunge krank, man fühlt sich unwohl, weil man seinen Berufspflichten nicht voll und ganz nachkommen kann. Der Kirchenbe-

such an Sonn- und Feiertagen wäre einigermaßen noch befriedigend, aber an Werktagen sind wenig Besucher. Gut noch wird der Herz Jesufreitag gefeiert mit Beicht und Communion. Die Kontrolle bei der Austeilung der hl. Commu-nion ist voll in den Händen des Priesters, wie wohl die öftere Communion wie früher auch jetzt gepflegt und angeraten ist. Der Dritte Orden des hl. Franziskus — Tertiarier ist immer noch schön im Gebrauche unter unseren Leuten. Wir sind registriert und stehen unter der Kontrolle des Staates, aber haben kein Grund zu klagen; daß man uns ungerecht behandele, wir wissen unsere Statuten und arbeiten ungestört. Viel hängt auch ab vom Benehmen der Geistlichen selbst den Gläubigen und dem Staate gegenüber; der eine arbeitet mit Erfolg, den anderen liebt man nicht und wendet sich von ihm ab. Durch das ungerechte Verfahren und gebieterischen Benehmen der Priester in manchen Gemeinden hat sich Zwiespalt gebildet in der Form dafür und dagegen. Eine der größten Mißständen ist, daß wir keine geistliche Obrigkeit haben — weder Bischof noch Apostolischer Administrator, die gebieten und verbieten sollte, jeder handelt nach seinem Verstände und nimmt sich Rechte, die ihm laut Codex nicht zustehen. Darunter leidet das Volk durch Desorientierung selbst in Glaubensfragen. Zuweilen schleichen sich autoritäre habsüchtige Züge ein, die an Verbrechen grenzen, zum Beispiel durch Reduction und Commutation der Intentionen der hl. Messen. Gewiß, so viel möglich, wird darüber gewacht, aber zuweilen siegt der Eigennutz und Starrsin. Auch für diese Hilfe sind unsere Leute dankbar, aber sie gedenken der Blütezeiten, wo inmitten der Gemeinde der Pfarr-Geistliche segensreich und liebvoll mit warmen Herzen wirkte und er sich dem Bischof in Saratow unterworfen, der jede fünf Jahre Rechenschaft dem hl. Vater, dem Papst in Rom gegeben hat. Mit tiefen Seufzen sagt man: Es war und kommt nimmermehr.

Die Arbeit des Priesters in der Pfarrei jetzt und früher

Wie schon früher erwähnt, waren wir deutsche Katholiken — Kolonisten in Rußland vereint in einer Diözese Tiraspol-Saratow auf dem Territorium Samara, Saratow, dem Gouvernement der Wolga entlang bis Astrachan, Kaukasus, Krim und Ukraina. Wir hatten ein Konsistorium, von da gingen alle Direc-tive aus für die ganze Diözese, von da wurden die jungen Priester zuerst als Vicar zu älteren Geistlichen und nachher als selbständige Verwalter in die Pfarreien geschickt. Zehn, zwölf Pfarreien bildeten ein Decanat, der Decan sammelte von den Pfarreien seines Decanates zuweilen schriftliches oder mündliches Material über den Zustand und die Nöten der Gemeinden und gab Rechenschaft diesbezüglich dem Bischof ab. Obwohl die Verwaltung unserer Diözese sehr streng war, so galt sie in Rom bei den Päpsten als eine der besten Diözesen. Auch die Bischöfe mußten jede fünf Jahren persönlich vor dem hl.

Stuhl – dem Papste Rechenschaft schriftlich und mündlich ablegen. Wir hatten unsere Typographie, unsere Zeitung – Rundschau, das Klemensblatt (zu Ehren des Diözesanpatrons St. Clemens), unseren eigenen Kathechismus und die kleine und große Biblische Geschichte zur Kathechese. Dieses alles und der Gottesdienst samt der Gebeten ist einheitlich gewesen für alle Priester und Gläubigen, überall wohin der Katholik gekommen ist, war er zu Hause. Die Geistlichen, erzogen und ausgebildet in einem Seminar und viele dabei noch mit Hochbildung in geistlichen Schulen im Auslände, standen alle unter der Fürsorge und dem Gehorsame des Diözesanbischofs; sie wurden zuerst als Vicar-Gehilfspriester zu einem erfahrenen Pfarrer und nachher selbständig in die Pfarrerei geschickt. Wird seine Arbeit als Verwalter und Seelsorger vom Dekan und zugleich auch von der Gemeinde als gut anerkannt, so erhalt er den Titel Kurat und darf die Pelerina auf der Sutane tragen.

Nach segenreicher Arbeit gibt ihm der Bischof die Rechte als Pfarrer mit allen Rechten und Jurisdictionen, die Pfarrei zu betreuen. Manche gute Seelsorger waren mehr als 25 Jahren in derselben Pfarrei und hinterließen eine wohlerzogene und fromme Gemeinde. Heute noch nach 40—50 Jahren spricht man noch gut von solchen Priestern und bestellt heilige Messen für ihr Seelenheil. Welche Rechte und Pflichten hatte ein guter Seelsorger in seiner Gemeinde? Hat er es verstanden aller Anfang die Herzen seiner Pfarrkinder zu gewinen, so ist er alles und für alle Vater, Fürsorger, Richter, Vermittler, Lehrer, Seelenführer, er stand am Krankenbett und bereitete den Kranken vor für die Ewigkeit und vermittelte öfters die Testamentsfrage für die Nachkommenschaft. Er leitet den Religionsunterricht in der Schule und in der Christenlehre in der Kirche, seine wohlgutvorbereitete Predigten auf der Kanzel waren die schlaggebende Richtschnur für die Gläubigen.

Sein frommes und andachtiges Benehmen auf dem Altar wirkte beispielvoll auf die Gemüter aller Anwesenden, seine Sorgen für ein gutes Sängerchor zierte den Gottesdienst, gute und sorgfältige Kirchenväter, Aufseher und Meßdienerschaar erleichterten ihm seinen Dienst. Die Sorge um fromme Vereine – Tertiarier, Jugendvereine, Aufnahmen in verschiedenen Meßbunden, Marianische Kongregation, Bruderschaft des Berges Karmel, ewige Anbetung usw. machen Ansehen bei Gott und den Menschen.

Was noch sehr wichtig ist, das ist die Führung des Hausbuches, dort sind alle Familien mit allen Mitgliedern des Hauses eingeschrieben, der Pfarrer hat dadurch immer ein klares Bild vor Augen: wer und wann getraut, zur ersten hl. Communion gegangen, geboren, gestorben. Auch die Beichtzettel werden daraus geschrieben und abgemerkt. Alles hatte der Priester in der Hand, auch die Kontrolle über die Austeilung der hl. Communion ist ihm eigen. Ich bemerke, daß die öftere hl. Communion, besonders am ersten Freitag (Herz Jesu) des Monates wurde gut gepflegt. So zu arbeiten, waren wir in unserer Diözese

gewöhnt und fühlten uns ganz glücklich. So arbeiten wir jeder auf seiner Pfarrei bis der Abschied kam, obzwar mit manchen Begrenzungen in den letzten fünf Jahren. Wir ahnten alle, was uns bevorsteht, aber wir blieben treu unserem Berufe an Ort und Stelle. Nach vielen, vielen Jahren kamen wir wiederum zu Kräften und suchten so viel wie nur möglich unserem Volke in Glaubensforderungen beizustehen. Wie früher gesagt, sind unsere Landsleute zerstreut wohnhaft in der großen Flächen des Asiatischen Busslandes. Hie und da tauchten auch Geistliche auf verschiedener Nation und fingen an privatim und ungesetzlich zu arbeiten immerfort jedoch stand man unter der Gefahr, sich das Gefängnis zu verdienen, was auch manchen wiederfahren ist. Es war immer noch keine Erlaubnis, die Gemeinden und einen Priester zu registrieren. Endlich am 23. Januar 1969 haben die Gläubigen von der Stadt Frunze und der umliegenden Ansiedlungen die Erlaubnis bekommen, eine religiöse Gemeinschaft zu bilden und registriert zu werden. Als Vorgänger wurde Mumber Andreas gewählt. Mann kaufte ein Wohnhaus nach Angabe der Behörde und umgestaltete es zu einem Bethaus. Es stand nun die Frage, wer als Pfarrer an der Spitze der Gemeinde stehen wird.

Der Vorsitzende Mumber Andreas und sein Gehilfe Rojek Franz kamen zuerst nach Merke, wo ich schon neun Jahre mit meinen zwei Schwestern wohnte und baten mich, die Pfarrei anzunehmen. Ich sagte ab des Alters wegen, war schon 72 Jahre alt. Man schlug dem Ministerium noch drei anderen Kandidaten vor, wurden jedoch nicht angenommen aus verschiedenen Gründen. Jetzt schickten die Behörde aus dem Ministerium über den Kultus einen Vertreter nach Merke nach mir in Merke. Man stützte sich auf die Verordnungen in Moskau von Kurojedow W. A. dem Vorsitzenden über die religiösen Fragen beim Ministerrat. Trotz meiner Vergangenheit — 23 Jahren getrennt gewesen sein vom Altare — hat man mich befehlshalber registriert. Am 14. Juli 1969 nahm ich die Pfarrei an. Am Altare hätte ja nichts besonders gefehlt, Kelche, Messgewänder, Bücher und andere Notwendigkeiten wurden beigetragen, auch ich hatte das notwendigste, aber wie und was und wo anfangen mit der Pastoration? Wohl dachte ich an jene schöne Arbeit zu Hause in meinen jungen Priesterjahren aber jetzt sind die Verhältnisse so ganz anders, als zu jener Zeit. Ich blickte nach oben und eine Stimme sagte mir: Mache dir keine Sorgen, ich werde dir in den Mund legen, was du zu sagen hast. Immer noch stockte das Blut in den Aderen vor Furcht an jene Schreckensjahre, wo wir mit den Gläubigen vollständig entrechtet waren in religiöser Hinsicht.

Noch war das Lichtlein meiner früheren Energie nicht erlöscht, mutig ging ich daran mit Einsicht und Vorsicht, manche Reiffen und Steine beschädigten das Schifflein, bald bekam ich Blutumlauf im Gehirn (gut nur mini) und mußte zweiundhalb Monat ausspannen und 1973 schlug mich ein schwerer Infarkt-Miacard gänzlich zu Boden. Man erlaubte mir, einen Vikar zu haben. Aber die Wahl war zu klein.

Von unseren Priestern waren schon keine mehr, von der Baltik zu bitten, hat man mir abgeraten als nicht zuverlässige, auch unter den hier unter unserem Volke arbeitenden Priester konnte ich nur einen wählen, der in Makinsk als Arbeiter auf der Holzbirscha eingenommen war. Es kostete viele Mühe bis er zur Registration zugelassen wurde, da er aus der sogenannten Unierten in der Transkarpatischen Gegend stammte; er ist ein Hloster-mann mit Namen Georg Todawtschitsch zumeist jedoch Gottlieb (sein Klostername) genannt, er ist ein gebildeter Priester und spricht verhältnismäßig nicht schlecht deutsch, gut russisch, tschechisch und ungarisch. Schon sind es acht Jahre, das wir mit einander segensreich in der Pfarrei arbeiten. Leider Gottes können wir diese Arbeit nicht vergleichen mit jenen guten Verhältnissen, wie oben beschrieben, in der Pfarrei zu Hause in unseren Kolonien in der Ukraina und in Wolgagebiet: Wir haben absolut keine Zutritt zur Schule, wir sehen die Kinder erst dann, wenn wir sie klein taufen und wenn sie die Eltern zur erste hl. Communion wohl vorbereitet in die Kirche bringen von 8—9 Jahren und zuletzt (und da immer seltener) zur kirchlichen Trauung; bis zu 18 Jahren sollen die Kinder nicht in die Kirche gehen, so lautet das Staatsgesetz, jedoch ist es Sache und das Recht der Eltern, die Kinder in der Religion zu unterrichten und mit sich in die Kirche bringen. Da die Menschen zerstreut unter verschiedenen Nationen und Confessionen in Städten und Dörfern wohnen, so ist auch die Hauspastoration unmöglich zu fuhren. Unsere Hauptarbeit ist folglich in der Kirche.

Auf welchem Gebiete unserer Pastoration können wir frei handeln?

Das Predigeramt in der Kirche und auf Beerdigungen ist uns freigestellt, allerdings nur im Sinne des Evangeliums. Theologische und moralische Predigten, auch Kathechese für die Jugend von 18 Jahren an sind nicht verboten: Gottesdienst mit Gesangbegleitung oder ohne, können wir zu jeder Zeit des Tages und der Nacht feiern; die Spendung aller sechs (Priestertum nicht) Sacramen-ten spenden wir überall in der Kirche, auf dem Hofe, in Privathäusem vorzuglich nur in katholischen Mitten zu jeder Zeit. In letzten Jahren, wo man freigebiger ist mit der Registration der religiösen Gemeinden, soll man nur in Bethäusern oder Kirchen Gottesdienst halten und die Sacramenten spenden.

Wie steht es mit den Mitteln zur Unterhaltung der Gemeinde? Antwort: Die religiösen Gemeinden werden unterhalten nur durch freiwillige Spenden der Gläubigen in und außer der Kirche, sowohl im Anfang zum Kauf oder Bau des Gottes-haußes und später zur Unterhaltung der dienenden Personen und Remontar-beit. Zu den Dienenden gehören: die Geistlichen — Pfarrer und Vicar, die Organisten, Wächter und Aufräumer. Den Lohn derselben bestimmt die Gemeinde mit Vereinbarung der Dienenden selbst. Bei der Kirche ist gewöhnlich ein Gebäude, worin sich die Buchhalterei, der Kassierer, der Prässes und das Kabinet des Pfarrers befindet. Zweimal im Monat bekommen die Dienenden ihren Gehalt.

Der Pfarrer nimmt die Gläubigen an und bespricht mit ihnen verschiedene kirchliche oder Familiäre Fragen, auch werden hier Bestellungen der Messintentionen angenommen. Die Feier der Todestagen und Jahrestagen werden in der Kirche verkündigt, damit die Verwandten dem Seelenamt beiwohnen können. Der Krankenbesuch, das heißt, die Spendung des hl. Sa-cramentes der Wegzehrung und letzten Ölung mit dem Sterbeablaß gibt uns immer noch die günstige Gelegenheit, mit mancher katholischen Familie in entlegenen Gegenden in Kontakt zu kommen: hierhin ist man sehr großmütig uns und den Gläubigen gegenüber. Wohl sind wir auch mit diesem allem noch zufrieden nach der mehr als 40jährigen Trockenheit, wo wir mit großer Gefahr kaum einen Kranken versehen konnten.

Aber ein schwerer Umstand drückt unser gläubiges Volk: die meisten unter uns arbeitenden Priester sind anderer Nation aus verschiedenen Gegenden und mit verschiedenen Gebräuchen, zumeist schwacher Erziehung und großer unbegründeter Neigung zur liberalen Neuerung des Modernismus. Man geht zu weit, daß man in der Kirche die russische Sprache einführt, den Gottesdienst — die hl. Messe in russischer Sprache zelebriert, das Volk und die Sänger zwingt, geradezu russische Straßlieder in der Kirche zu singen verlangt. Es entsteht Zwiespalt und Streit in und außer der Kirche, zwischen Gemeinde und Geistlichen, und trotzdem die Not an Seelsorgern groß ist, sind manche Gemeinden gesinnt, eher als einen solchen Priester, gar keinen zu haben. Noch liegt es daran, daß wir hier im asiatischen Teile der Sowjetunion übersiedelte deutsche Katholiken die Diözese Saratow darstellen und ohne Verwaltung in kirchlicher Hinsicht sind, deshalb haben auch Bischöfe aus fremder Diözese wenig Sorgen um uns. Alle 14. arbeitende (obwohl wenig gesunde und arbeitsfähige) inmitten unseres Volkes Priester haben alle verschiedene Methoden, vielfach sich widersprechende und unserem Volke schädliche, sehr selten, daß eine Gemeinde zufrieden ist mit einer solchen Behandlung, sehr oft mit Entrechtung, einer Art Knüppelbehandlung, rücksichtslos gegen Tradition und fromme Gebräuche. Manche Pfarreien haben angefangen zu blühen, mit Lust und Liebe alle Kräfte und Mittel daran gehängt am Kirchbau, leider hat mann dreingehauen, die Menschen haben entäuscht den Mut verloren, die Pfarrei ist zu nichts geworden. Die weltliche Obrigkeit war gezwungen, von uns schlechter Meinung zu sein. Das Ärgernis liegt vor Augen.

 

Unmittelbar mit der Registration der Gemeinden und Geistlichen unter den Gläubigen deutscher Nation im asiatischen Rußland war auch die Frage verbunden, wo den Gottesdienst zu halten? Ein Neubau zu erzielen, war anfänglich vergebens, da ja das Land überall in Staatshänden ist und für Kirchenzwecken keineswegs erlaubt werden durfte; es erlaubte der Staat Privathäu-ßer zu kaufen, dieselbe umzugestalten nur im innern ähnlich einer Kirche — Bethaus. Die äußere Form und der Umfang, wie auch die Höhe durfte nicht geändert werden. So hat die Kirchengemeinde von Frunze ein Privathaus, nach Anweisung des Stadtrates auf welchem Stadtteil, gekauft für zehntausend Rubel mit den Mitteln der Gläubigen und daselbe rekonstruiert zu einem Bethaus, worin der Gottesdienst von 1969 bis Frühjahr 1981 abgehalten wurde. Desgleichen haben auch die religiösen Gemeinden getan in: Kustanai, Dschambul, Duschanbe, Almaata, Karaganda, Zelinograd, Pawlodar.

Schon in der Jahren 1977—78 verspürte man ein besseres Entgegenkommen von Seiten der Regierung, immer mehr Gemeinden wurden registriert und schon erlaubt mann die gegenwertige Gotteshäuser zu rekonstruieren oder auf derselben Stelle, eine neue Kirche zu bauen. Anno 1979—80 hat noch Karaganda, Duschanbe, Kurgan Tjube, Dschambul, Almaata rekonstruierte und neuaufgebaute Kirchenräumen erhalten. Zur Einweihung dargeboten und verdienstvolle Mühe haben sich die Geistlichen gegeben: P. Dulauskas Albinus, Swidnizki Joseph, der erste in Karaganda, der zweite in Duschanbe. Dabei dürfen wir auch die Laien, den Vorsitzenden von der Gemeinde Almaata Kaspar Herbach und Joseph Kiefel und in Kurgan Tjube den Vorsitzenden Kiefel Rochus, nicht vergessen, die große Verdienste haben beim Bau der Kirchen und feste Verwaltung der Gemeinde. Jetzt kommt die Reihe auch an Frunze. Schon längere Zeit hat das Kirchlein nicht mehr alle Gläubigen aufnehmen können. An Sonn-und Festtagen mußten viele auf dem Hofe in der Hitze und im Regen den Gottesdienst anhören.

Auch im inneren standen Menschen vollgepfropft in vollem Schweiß; gar manchen nichtgesunden Menschen ist es übel geworden und mußten hinausgeführt werden. Es reifte der Gedanken, einen Ausweg zu suchen. Ich als alter und kranker Priester mußte auch schon immer kämpfen mit dem Atem während des Gottesdienstes, auch ich in erster Reihe mußte an eine Umgestaltung denken. So weit es mir von Gott gegeben ist, mach ich mich an den Plan der Rekronstruction und an die Ausarbeitung mit allen Materialien und Arbeitskräften. Eine Solide Sparkasse die ich persönlich bei mir führte, gab mir Garantie dafür, die Anlagen zu decken und eine geräumige Kirche zu haben. Auf Neujahr 1981 verkündigte ich der Gemeinde, daß wir die Möglichkeit der Erlaubnis von der Behörde für eine neue Kirche zu haben. An Mitteln wird es nicht fehlen. Was die Arbeitskraft anbelangt, so verlasse ich mich auf die Hände und die Kunst meiner Pfarrkinder, da es schwierig sein wird, von der Seite oder einer Bauorganisation, Arbeiter zu bekommen, sagte ich zu meinen Zuhörern, aber mit Emst hatte ich Zweifel, auf das passive Verhalten der Gemeindemitglieder. Frisch gewagt, ist halb gewonnen. Anfang

Januar 1981 fingen wir an, die notwendigen Materialien zu kaufen, wohl wissend, daß diese Frage nicht so leicht zu lösen sei. Meisterhaft und mutig gingen an die Besorgung des Baumaterials der Vorsitzende des Kirchenrates Gottlieb Iwanowitsch Bruckmarin und der Kirchen-Vater Franz Thomasowitsch Hatzenbühler von Karabalta. Die Vorbereitung für Instrumenten, von Blech und Eisenarbeiten lag voll und ganz auf dem überaus der Kirche ergebenen Kassierer Michael Happerl, die Farben, Streichöl, Pinsel und dergleichen versorgte gut der Revisionsvorsitzende Aloysius Krug. Vier Monate lang waren diese Expeditoren auf den Füßen. Tag-täglich erschienen Lastauto mit dem notwendigen Material; guten Teil hatten die Frauen bei der Kirche genommen am Abladen des Baumaterials. Alles ausgerechnet, sollte der Bau anfangen weiden sofort nach Ostern am 22. April 1981. Aber was ist geschehen? Der Projector und Baumeister Pfarrer Prälat Michael Köhler ist plötzlich schwer krank geworden an einer eiternden Pneymonie, vom 2. Februar an bis gegen Ende des Monats lag er hoffnungslos im Bett.

Die Gläubigen von allerorts und in der Pfarrei beteten ohne Unterlass für die Genesung des einzigen und letzten von unseren Pristern, die Ärzte vorzüglich der beständige Hausarzt des Prälates Faina Silbermann legte alle Kräfte daran, den kranken Pr. Köhler zu retten. Am Ende des Monats Februar kam die Änderung zur Besserung. Schon konnte der Baumeister durchs Fenster vom Bett aus sehen, wie Gottlieb Iwanowitsch im Beifahren des ihm angegebenen Materials den Plan ausfüllt; manchmal war es nicht zuzusehen, wie er sich abgeplagt mit dem Abladen der Schweren Balken und Brettern. Eine Woche vor Ostern haben bei 15 Holzarbeiter alles Holz vorbereitet und stabeliert.

Die Verteilung der Arbeitsstellen in Brigaden wurden vorher dem Volke verkündet. Aber mein vorzeitiges Dabeisein bei der Bearbeitung verursachte einen Rezidiv und ich mußte immer noch das Bett hüten. Drei Tage nach Ostern traten wir heran, rissen das Dach herunter und einen oberen Teil der Mauer, im vollen Gang und mit gutem Erfolg haben wir das Gebäude bis zu sechs Meter gehoben und das Dach in drei Wochen mit ganz neuem Materia] — Blech dem Gebäude aufgesetzt. In meinen früheren Befürchtungen habe ich mich getäuscht: jeden Tag ohne gerufen haben sich Männer und Frauen hier auf unserer Arbeit gezeigt und fleißig gearbeitet nicht weniger als 30-40 Menschen, an einem Samstage kamen gar 62 Menschen, unter ihnen viele Jugend von 20—30 Jahren. Zweimal des Tages wurden die Arbeiter gut verköstigt und nach Bedarf getränkt. Alle waren einstimmig, das Haus Gottes gut und in schnellster Zeit zu bauen. Alle Schwierigkeiten wurden ganz heroisch überwunden, kein Klagen oder Uneinigkeiten waren zu merken.

Nicht leicht war es, die Produkten für mehr als 2200 Mahlzeiten beizubringen. Dieses Objekt lag schwer auf den Schultern der Pfarrwirtin Mathilde Holfinger und ihrer Gehilfin Katja Brikmann, auch das Kochen noch dazu. Auch hat der Vorsitzende Gottlieb Iwanowitsch Bruckmann und sein Bruder Alexander immer rege mitgeholfen. Auf Ostern hatten wir Gottesdienst im Kirchenhof abgehalten, aber auf Pfingsten den 7. Juni zogen wir schön ein in unsere neue Kirche.

Sechs Meter hoch mit 16 Ventilationseinrichtungen gaben der angefüllten Menschenmenge die notwendige Temperatur, mehr als 200 Plätze haben wir durch die Rekonstruktion gewonnen. Man sagt die Kirche sei originell schön und sehe heimisch aus und regt alles an zur Andacht. Wir fühlen uns alle glücklich in unserem Gotteshause; die Obrigkeit ist uns sehr wohlwollend entgegengekommen. Den besten Arbeitern — und es haben alle Leute gut gearbeitet — haben wir Geschenke und Photokarten gegeben und allen siebzig hl. Messen gehalten für sie lebende und ihre verwandten Toden. Noch passiert ein kleines Unglück: Am Vorabend von Pfingsten geschwächt von übergroßer Anstrengung und betäubt vom Farbengeruch fiel ich auf den Zementboden im Hofe und verwundete mir das Gesicht und den Kopf, so daß ich bei der Einweihung auf Pfingsten mit verbundenem Kopf auf der neuen Kanzel zum Festpredigt mit der Danksagung auftreten mußte.

So langsam ist meine Gesundheit besser geworden und heute leben wir in der Hoffnung mit Gottes Hilfe und seiner weisen Vorsehung am 23. Mai 1982 mein 60jähriges diamantenes Prister-jubiläum abhalten zu dürfen. Noch sind es sechs Monate von heute an bis dorthin geblieben, deshalb sagen wir: alles ist in den Händen Gottes gelegen. Werden schon weiter von uns hören lassen nach dem zu erwartenden Jubiläum am 23. Mai 1982.

Frunse, den 20. November 1981